FAQs – Häufig gestellte Fragen zur WB-EMS-Applikation

Wie hoch kann die „Effektivität“ von Ganzkörper-Elektromyostimulation (WB-EMS) im Vergleich zu konventionellem Krafttraining eingeschätzt werden?

Diese Frage kann inzwischen klar beantwortet werden. Die positiven Effekte eines WB-EMS Trainings liegen im ungefähren Bereich eines deutlich zeitaufwändigeren HIT-Trainings, also eines Einsatztrainings bis zur muskulären Ausbelastung durch Intensitätstechniken (MF+). So zeigen sich vergleichbare Effekte für die Zunahme der Muskelmasse und die Reduktion des Körperfetts. Interessant sind die Effekte bezogen auf Kraft und Power. Während eine statische Messung vergleichbare Verbesserungen der Haltemuskulatur (Rückenstrecker) und Fortbewegungsmuskulatur (Hüft- und Beinstrecker) zeigt, liefert die dynamische Messung etwas günstigere Daten für die Verbesserung der Fortbewegungsmuskulatur nach HIT-Krafttraining.

Ganzkörper-Elektromyostimulation wird oftmals als „Training ohne Anstrengung“ beworben. Wie bewerten Sie diese Aussage?

Hmm, das ist eine interessante Frage und hängt davon ab, wie „Anstrengung“ aufgefasst wird. Faktisch ist es integraler Bestandteil der derzeitigen gesundheits- und fitnessorientierten WB-EMS Methoden­variante, dass eine angemessene Stromapplikation die Effekte generiert, sodass der Anteil der willkürlichen Belastung relativ gering bleibt. In der Trainingspraxis bedeutet dies, dass in enger Interaktion zwischen Trainer und Anwender eine angemessen hohe Reizintensität (via Impulsstärke) appliziert werden muss, die durchaus als „anstrengend“ rückgemeldet werden sollte. Insbesondere bei den oft weniger sportaffinen WB-EMS Anwendern mit entsprechend schwach ausgeprägten Belastungsempfinden, ist dieses Heranführen an eine angemessen hohe Belastung und die Herausbildung einer entsprechenden Sensibilisierung des Körpergefühls die zentrale „Challenge“ für den Trainer.

Kritiker monieren geringe bis ausbleibende Effekte auf Funktionalität und Koordination durch die „künstliche“ Aktivierung des Ganzkörper-EMS Trainings. Was ist an dieser Aussage „dran“?

Diese Meinung ist durch eine Vielzahl von WB-EMS Untersuchungen mit signifikant positiven Effekten auf eine Vielzahl von Funktionalitätsparametern, wie Kraft und Power inzwischen widerlegt (siehe oben). Bei einer rein passiven therapeutischen EMS Anwendung mag dieses Argument zweifellos noch zutreffen, in der Trainingspraxis wird WB-EMS überwiegend in der Dynamik, also unter Bewegung und leichter Willküraktivierung durchgeführt. Hier unterscheidet sich übrigens die leistungssportliche von der gesundheits- und fitnessorientierten Anwendung. Während im Leistungssport eine hohe willkürliche Aktivierung mit einer moderaten Stromintensität vorherrscht, die eine absolut korrekte disziplinspezifische Ausführung der Bewegung erlaubt, steht bei der klassischen gesundheits- und fitnessorientierten EMS-Methodenvariante primär die Stromkomponente als Belastungsinstrument im Vordergrund.

Heute hat sich eine Trainingszeit von max. 20 Minuten und eine Trainingshäufigkeit von 1x pro Woche im EMS-Markt etabliert. Ist das aus Ihrer Sicht ausreichend?

Nun, wir haben in unseren wissenschaftlichen Untersuchungen eine etwas höhere Trainingshäufigkeit von 1,5×20 min/Woche angewandt, also einen Abstand zwischen den Trainingseinheiten von 4 Tagen appliziert. Inwiefern eine etwas geringere Trainingshäufigkeit zu etwas ungünstigeren Effekten führt, haben wir bislang nicht untersucht. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass beim WB-EMS alle Muskelgruppen simultan adressiert werde können, ist bei Realisierung einer angemessen intensiven WB-EMS Applikationen eine Trainingsdauer von 20 min/Session allerdings absolut ausreichend. Wesentlich längere Einheiten und eine signifikant höhere Trainingshäufigkeit können zu Überlastungen beitragen. Bezogen auf die Trainingsfrequenz zeigen die Kreatinkinase- bzw- Myoglobinwerte als Messgrößen der muskulären Beanspruchung meist ersten am dritten Tag nach dem WB-EMS-Training ihre höchste Auslenkung; ein Training zu oder gar vor diesem Zeitpunkt ist daher verfrüht und kann zu einer Akkumulation der muskulären Erschöpfung führen.

Erst kürzlich warnte die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) vor dem WB-EMS-Training. Kann WB-EMS tatsächlich schädlich oder gefährlich wirken?

Diese Frage schlägt regelmäßig hohe Wellen in den Medien und verunsichert die Teilnehmer an einem WB-EMS Training leider massiv. Aus diesem Grund möchten wir diese Frage im Rahmen der Möglichkeiten eines Interviews erschöpfend und angemessen differenziert adressieren. Zunächst ist WB-EMS bezüglich akuter orthopädischer und kardialer Risiken aus unserer Sicht definitiv die Trainingsmethode der Wahl. Ein immer wieder aufgeführtes Risiko des WB-EMS steht in Zusammenhang mit der sogenannten Rhabdomyolyse, vereinfacht einer belastungsinduzierten Beschädigung des Muskelgewebes. Aufgrund seiner hohen Sensitivität gilt CK (Kreatinkinase) als primärer Serummarker einer Rhabdomyolyse. Basierend auf CK-Ruhewerten von unter 200 IE/l, wird eine milde Rhabdomyolyse bis zu 10facher, eine moderate Rhabdomyolyse zwischen 11- und 50facher und eine schwere Rhabdomyolyse bei über 50facher Erhöhung der Basiskonzentration definiert. Wichtig ist in diesem Zusammenhang ebenfalls der Hinweis, dass eine große intraindividuelle Varianz der CK Konzentration bei derselben relativen Belastung besteht. D.h. konkret, dass manche Menschen wesentlich sensibler und mit höherem CK-Level auf eine körperliche Belastung reagieren. Tatsächlich ist WB-EMS durch die große Anzahl an Muskelgruppen, die simultan und im Extremfall supramaximal (also höher als durch willkürliche Innervation) stimuliert werden können, wie keine zweite Trainingsmethode in der Lage ist eine Rhabdomyolyse zu generieren. Eine ärztlich eng begleitet Untersuchung unseres Hauses zeigte nach WB-EMS Erstapplikation mit individuell maximal tolerierbarer Reizhöhe sehr hohe Kreatinkinase- und (etwas eingeschränkt) Myoglobin-Werte, die im Mittel – aber nicht bei allen Teilnehmern – im Bereich einer schweren Rhabdomyolyse lagen. Im Einklang mit der vorliegenden Literatur konnten allerdings keinerlei klinische Konsequenten erfasst werden. Ob dieses Ergebnis auf gesundheitlich limitierte Anwendern transferiert werden kann, sei allerdings dahingestellt. Ein zentrales Studienergebnis war jedoch, dass im weiteren Verlauf des WB-EMS Trainings sich bei allen Probanden ein sehr ausgeprägter repeated bout-, also Konditionierungseffekt zeigte. Tatsächlich wurde nach 10maliger WB-EMS Applikation und wiederum ausbelastendem WB-EMS eine 30fache Reduktion der CK-Werten (900 IE/l), also eine Konzentration im Bereich eines konventionellen Krafttrainings nachgewiesen. Die Problematik der WB-EMS induzierten Rhabdomyolyse beruht somit weitestgehend auf einer unangemessen hochintensiven Stromapplikation während der initialen Einheiten. Wir haben in den „Richtlinien zur sicheren und effektiven Anwendung von Ganz-Körper-Elektromyostimulation“ Vorgaben vorgelegt, welche diese Thematik umfassend adressieren. Trotz vermeintlich angemessener (niedriger) Impulsstärke bei Erstapplikation/Probetraining werden sehr vereinzelt CK-Werte im Bereich einer leichten Rhabdomyolyse berichtet. Dies kann mit einer hohen individuellen Disposition des Anwenders zusammenhängen. Da im Trainingsverlauf eine Konditionierung und Anpassung der Muskulatur stattfindet und entsprechende Limitationen oder Grunderkrankungen durch die Anwendung der vorliegenden Kontraindikationen ausgeschlossen wurden, kann das WB-EMS Training, zumindest meiner Einschätzung nach, mit leicht verringerter Intensität weiter durchgeführt werden.

Richtlinien für einen sicheren und effektiven Einsatz: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Verhaltensmaßregeln, die ein Anbieter von EMS-Training beachten muss?

Aus unserer Sicht stehen Effektivität und Sicherheit der Anwendung klar im Vordergrund. Wie bereits besprochen ist WB-EMS kein allzeit effektiver und unbedingt sicher anwendbarer Selbstläufer, tatsächlich ist in höherem Masse als  bei anderen Trainingsformen eine enge und vertrauensvolle Interaktion zwischen Anwender und Anbieter zur Generierung einer möglichst optimalen Reizhöhe das zentrale Merkmal eines erfolgreichen und sicheren Trainings. Aus diesem Grund sehen wir bei der Anwendung maximal 2 Trainierende pro Trainer als kritische Grenze. Daneben ist eine angemessene sportwissenschaftliche Ausbildung des Anbieters/Trainers wichtig, um über die in diesem Spannungsfeld anwendbaren Trainingsprinzipien wie bspw. Variationen, Zyklisierung und Periodisierung des Trainings auch langfristig Erfolge zu sichern bzw. sich verändernde Trainingsziele zu adressieren. In Punkto Sicherheit wurden die oben aufgeführte Leitlinie herausgegeben, die Aspekte wie Vor- bzw. Nachbereitung des WB-EMS-Trainings, Vorgaben zur Intensitätssteuerung / Ausbelastung und vor allem einer engen Betreuung durch einen gut ausgebildeten Übungsleiter adressiert. In punkto Kontraindikationen ist die Entwicklung noch nicht ganz abgeschlossen. Interessanterweise plädierten an einem „runden Tisch“ aus Forschenden, Lehrinstituten und Anwendern insbesondere die Anwender für die konsequente Beibehaltung der sehr restriktiven Kontraindikationen.

Was muss/sollte ich als Anwender über Ganzkörper-EMS wissen, was sollte ich berücksichtigen, welche Ausschlusskriterien gelten?

Ganz ohne jeden Zweifel ist WB-EMS, richtig angewandt, eine sichere und sehr zeit-effiziente Möglichkeit zur Verbesserung muskuloskeletaler, funktionaler und kardiometabolischer Größen. Obwohl die minimale, effektive Dosis der Trainingshäufigkeit/-dauer beim WB-EMS relativ gering ist, führt nur eine regelmäßige und überdauernde Teilnahme mit hoher Trainingscompliance zum Erfolg. WB-EMS sollte vom Anwender als eine relativ intensive Trainingsform angesehen werden, bei der eine ordentliche Vor- und Nachbereitung nötig ist, um effektiv und sicher zu arbeiten (siehe Richtlinien). Dies beinhaltet u.a. eine ausreichenden Flüssigkeitsaufnahme vor und unmittelbar nach dem Training, eine angemessene Proteinzufuhr zur Generierung muskulärer Anpassungsprozesse und die Sicherstellung einer guten physischen Situation und Leistungsbereitschaft für das Training. Bezüglich Ausschlusskriterien/Kontraindikationen sollten die vorliegenden und leicht recherchierbaren absoluten und relativen Kontraindikationen zwingend Anwendung finden. WB-EMS bietet natürlich die Möglichkeit einige Elektronen nicht zu nutzen und so lokal betroffene Regionen auszusparen. Bei Unsicherheit, ob eine WB-EMS Anwendung möglich ist, sollte der mit dem Anbieter idealerweise kooperierende sachkundige Arzt die entscheidende Instanz sein. Hier setzt auch die TÜV- und in Planung befindliche DIN Zertifizierung der Betreiber an, die eine enge Kooperation mit einem sachkundigen Arzt erfordert – aus unserer Sicht eine qualitative Verbesserung des kommerziellen WB-EMS Marktes und eine relevante Entscheidungshilfe für verunsicherte Kunden.

Oftmals wird Ganzkörper-EMS Training als zeitsparendes Training für Besserverdiener adressiert. Sie haben in den vergangenen Jahren Studien mit den unterschiedlichsten Zielgruppen durchgeführt. Wer ist aus Ihrer Sicht die tatsächliche Zielgruppe für Ganzkörper-EMS Training?

Freilich beinhaltet das derzeitige WB-EMS Setting als „Personal Training“ (PT) einerseits einen entscheidenden Erfolgs-, andererseits einen erheblichen Kostenfaktor; allerdings wird dieser Aspekt über die geringe Trainingshäufigkeit relativiert. Insofern erscheint uns WB-EMS als günstigste PT-Variante überhaupt. Bezüglich des Anwendungskreises ist das WB-EMS als zeiteffektive und gelenkschonende Trainingsmaßnahme mindestens ebenso umfassend applizierbar wie ein konventionelles Krafttraining. Wir sehen WB-EMS allerdings überwiegend als Option für Menschen, die ein intensives Krafttraining aus verschiedenen Gründen nicht betreiben können oder möchten. Wir haben uns innerhalb unserer Forschungsprojekte zentral auf muskuloskeletale und kardiometabolische Erkrankungen oder Konditionen mittleren-höheren Lebensalters spezialisiert. Natürlich sind auch andere Zielgruppen und Anwendungsgebiete vorstellbar und sinnvoll. Hier möchten wir über einen Forschungsverbund mit anderen Einrichtungen, die WB-EMS Forschung betreiben, wichtige Anwendungsgebiete identifizieren und in der Zukunft gemeinsam evaluieren. Ich denke, die WB-EMS Forschung wird sich in den nächsten Jahren international prominenter entwickeln, sodass wir noch spannende Forschungsergebnisse zu diesem Thema erwarten dürfen.

Kann man durch Ganzkörper-EMS Training abnehmen?

Ja, definitiv – zwar nur moderat, aber umso nachhaltiger. Die Waage zuhause liefert hierfür leider wenige Indizien, da die Reduktion von Körperfett durch die Erhöhung der Muskelmasse nahezu kompensiert wird. Dieser Effekt ist einem intensiven Krafttraining ähnlich, während für ein isoliertes Ausdauertraining oder eine energierestriktive Diät eine Reduktion von Muskel- und Fettmasse im Verhältnis 1-4 bzw. 1-3 berichtet werden. Ich halte es in diesem Zusammenhang für sehr wichtig, dass bei Gewichtsmanagement über Energierestriktion oder Ausdauersport eine muskelerhaltende Komponente berücksichtigt wird. Hier ist WB-EMS mit Sicherheit eine zeiteffektive Option, die idealerweise mit einer kompensatorischen Eiweißgabe kombiniert werden sollte. Adressiert man den Umfang der Körperfettreduktion via regelmäßiger WB-EMS Applikation, so zeigen belastbare Messmethoden einen WB-EMS-induzierten Rückgang der Körperfettmasse im Bereich von 1-1,5 kg nach 10-12 Wochen. Von Relevanz ist, dass dieser Effekt besonders prominent für das abdominale Körperfett auftritt. Die Magnetresonanztomographie zeigt dabei eine überdurchschnittliche Reduktion des kardiometabolisch hochrelevanten intraabdominalen Körperfetts. Zusammenfassend ist die Erhöhung der Muskelmasse bei gleichzeitiger Reduktion der Körperfettmasse also ein zentrales Feature des WB-EMS. Betrachtet man die Pfade, über die WB-EMS auf den Energieumsatz wirkt, so sind durch das geringe nötige Trainingsvolumen des WB-EMS weniger die akute Belastung des WB-EMS als vielmehr die Erhöhung des Grundumsatzes durch Steigerung (und möglicherweise Stoffwechselaktiviertheit) der Muskelmasse sowie ein relativ hoher „Nachbrenneffekt“ durch nötige Regenerations- und Anpassungseffekte  des WB-EMS Trainings die relevanten Mechanismen.

Das Herz ist doch auch ein Muskel. Warum wird das Herz von den elektrischen Impulsen der Elektromyostimulation nicht beeinflusst?

Wie jeder Muskel kontrahiert sich auch der Herzmuskel, wenn elektrische Signale die Muskelfasern über eine gewisse Schwelle depolarisieren. Auf diese Weise wird über das autonome Reizleitungssystem das Herz zur rhythmischen Kontraktion gebracht. Grundsätzlich kann also auch der Herzmuskel durch externe Ströme beeinflusst oder gestört werden, wie dies bei einem Stromunfall oder bei einer Wiederbelebung mit einem Defibrillator der Fall sein kann. Im Gegensatz zur Steckdose oder einem Defibrillator, welche sehr hohe Spannungen und Stromstärken erzeugen, wodurch der Strom durch den ganzen Körper fließt, ist bei der WB-EMS die Stromstärke sehr gering und der Stromfluss regional begrenzt. Denn zur Aktivierung der Skelettmuskulatur sind extrem geringe Stromstärken ausreichend. Der Haupteffekt bei der Elektromyostimulation mit niederfrequenten Strömen besteht in der Aktivierung der kleinen motorischen Nervenäste in der Nähe der Elektroden. Werden diese durch den externen Strom über eine bestimmte Schwelle depolarisiert, so erzeugen die Nerven ein Aktionspotential, welches sich selbsttätig in Richtung Muskelfasern fortsetzt und diese aktiviert. Dadurch, dass der externe Strom die körpereigene physiologische Erregungsleitung „anstößt“, wird die Muskulatur auch in der Tiefe aktiviert und zu einer kräftigen Kontraktion angeregt. Es tritt dabei aber kein relevanter Stromfluss außerhalb der Skelettmuskeln durch den Brustkorb zum Herzen auf. Dennoch stellen Herzrhythmusstörungen und insbesondere Herzschrittmacher eine Kontraindikation dar, die aus Gründen der Vorsicht dennoch strikt eingehalten werden sollte.

Functional-Training gilt seit einigen Jahren als hocheffektive Methode, um Fitnessziele schnell und effektiv zu erreichen. Wie sehen Sie hier den Zusammenhang/die Abgrenzung zum EMS-Training?

Der Vergleich ist tatsächlich interessant: Functional Training wird ja oft als das exakte Gegenteil zum WB-EMS dargestellt, da Übungen mit komplexen Bewegungen über mehrere Gelenke und Muskelgruppen im Mittelpunkt stehen, während für WB-EMS zumindest in der Vergangenheit immer  der Aspekt der Statik und nicht-Funktionalität im Raum stand. Nun wird modernes WB-EMS selten statisch (s.u.), sondern überwiegend dynamisch appliziert. Wir bevorzugen beim WB-EMS Training alltagsrelevante Bewegungen über mehrere Gelenke und soweit möglich großer Amplitude. Um die nötige überschwellige Intensität zu generieren, bedient sich das Functional Training unterschiedlicher Zusatzbelastungen, im WB-EMS wird die Intensität primär über den Stromimpuls geregelt. Letzter Aspekt trägt zu einer günstigeren orthopädischen Verträglichkeit und geringeren Verletzungsgefahr durch WB-EMS besonders bei Anfängern und athletisch weniger Vortrainierten bei. Letztlich sind beide Trainingsmethoden sicherlich effektiv, aber bezüglich ihrer Ideologie unterschiedlich und einigermaßen inkompatibel. Aspekte wie geringes zeitliches Budget, Gesundheitsorientierung / gesundheitliche Limitationen, geringe Affinität zu konventionellem Training und exzellent dosierbare Intensitätssteuerung sprechen in diesem Zusammenhang für ein WB-EMS Training.

Bei der Durchführung des EMS-Trainings gibt es allerdings unterschiedliche Methoden und Meinungen. Wie wichtig ist die „Übung“ für das Trainingsergebnis?

Die Frage nach der Relevanz der Übung für das Trainingsergebnis hängt ganz maßgeblich vom Trainingsziel ab. Während wir in unseren Untersuchungen mit chronischen Rückenschmerzpatienten statische Übungen oder Bewegungen mit geringer Amplitude (erfolgreich) durchgeführt haben, ist die Relevanz der Übung im Sinne einer Bewegungsausführung für die Funktionalität (s.o.) hoch. Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigte nach 12wöchiger passiver vs. aktiver WB-EMS Applikation in liegender Position, bei relevanter Kraftzuwachsrate in beiden Gruppen, doppelt so hohe Verbesserungen der Muskulatur der Hüft- und Beinstrecker seitens der aktiven Gruppe. Insofern führen wir bei allen Gruppen mit dem primären oder sekundären Trainingsziel leichte Körperübungen durch, die per se überwiegend nicht angemessen sind, muskuläre Anpassungserscheinungen auszulösen. Unsere Kollegen aus dem (Hoch-)Leistungssport verfolgen in diesem Zusammenhang oft eine andere Philosophie. Hier werden oft disziplinspezifische Übungen mit hoher willkürlicher Reizhöhe durchgeführt, die durch adjuvant applizierte WB-EMS nochmals intensiviert werden. Flapsig ausgedrückt macht hier also der Athlet selbst den Großteil des Jobs, während beim klassischen WB-EMS fast ausschließlich die Stromapplikation die Belastung generiert. Als Fazit kann man also ziehen, dass leichte Körperübungen im fitness- und gesundheitsorientierten WB-EMS sicherlich ausreichend sind; komplexe und intensive (Körper-)Übungsformen unter WB-EMS sollten dem Leistungssport vorbehalten bleiben.

Eine Ergänzung zur Frage mit den Übungen. Wie wichtig ist die Verwendung von Zusatzbelastung (TRX, Hanteln etc.) während des Ganzkörper-EMS Trainings?

Also eine Art Kombination aus Functional Training oder Hantel-/Gerätetraining und WB-EMS? Ich denke, diese Option ist mit den wenigen Ausnahmen des Hochleistungssports nicht angemessen, im Extremfall sogar kontraproduktiv. Wie oben bereits angeführt, ist das zentrale Moment des klassischen WB-EMS die Wirkung der Stromapplikation auf die Muskulatur. Um ein möglichst effektives Training zu generieren, muss eine optimale Reizintensität im Sinne einer angemessenen Impulsstärke generiert werden. Wir alle wissen, dass dies nicht ganz trivial ist, sondern idealerweise nur in enger und stetiger Interaktion zwischen Trainer und Trainierendem realisiert werden kann. D.h. der Trainer sollte sich primär um die Intensitätssteuerung  kümmern; vice versa muss der Teilnehmer in der Lage sein die Intensität der Stromapplikation richtig rückzumelden; sehr komplexe Körperübungen (s.o.) und/oder Zusatzgewichte sind für diesen Vorgang kontraproduktiv, da der Teilnehmer den bestimmenden Reiz kaum noch zuordnen kann. Letztlich sollte man sich auch auf die Skills und den Anwendungsbereich des WB-EMS rückbesinnen. Als gesundheits- und fitnessorientierte Forschende sehen wir WB-EMS als gelenkschonende und sichere Alternative für Menschen, die aus verschiedenen Gründen eine geringe Affinität zu intensiven Krafttrainingsprotokollen haben.


WB-EMS Fachexperte
Prof. Dr. Wolfgang Kemmler
im Interview